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"Jetzt ist die Zeit für eine diplomatische Initiative!"

Verantwortlicher Autor: Sergej Perelman Berlin, 21.09.2022, 11:21 Uhr
Presse-Ressort von: Sergej Perelman Bericht 5671x gelesen

Berlin [ENA] Zum Internationalen Friedenstag am 20. September und anlässlich der UN-Generalversammlung richtete sich die Friedensnobelpreisträger-Organisation IPPNW im hier publizierten Offenen Brief an Annalena Baerbock. Darin fordert sie die Außenministerin dazu auf, die Initiative für multilateral getragene Verhandlungen zu ergreifen, um eine weitere Eskalation des Ukraine-Krieges bis hin zum Atomkrieg zu verhindern.



Sehr geehrte Frau Ministerin Baerbock, als Friedensnobelpreisträgerorganisation IPPNW (Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges) wenden wir uns in großer Sorge an Sie. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine dauert inzwischen über ein halbes Jahr. Er verursacht täglich Leid, Tod und Verwüstung, und weiterhin droht eine Eskalation dieses Krieges. Dennoch sehen wir keine erkennbaren diplomatischen Fortschritte für eine Verhandlungslösung. Wir begrüßen das Telefonat von Bundeskanzler Olaf Scholz, in dem er gegenüber dem russischen Präsidenten auf eine diplomatische Lösung gedrängt hat, als einen ersten Schritt. Weitere Schritte müssen folgen.

Wir sehen jetzt das Zeitfenster und die Notwendigkeit, eine Verhandlungsinitiative anzustoßen. Die Ukraine hat Gebiete befreien können, im Verhältnis Russlands zu China und Indien deuten sich Differenzen an und mit der offenen Kritik der Künstlerin Alla Pugatschowa an dem Krieg steht Putin auch innenpolitisch unter Druck.

Wir appellieren daher an Sie, die Initiative zu ergreifen zu einer multilateral getragenen Vermittlung zu einem Waffenstillstand und Verhandlungen. Bitte schöpfen Sie alle Mittelaus, um eine weitere Eskalation des Krieges bis hin zum Atomkrieg zu verhindern. Dazu gehört aus unserer Sicht der Verzicht auf die Lieferung von Kampfpanzern oder Kampfjets. Die Bundesbürger*innen sind laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage von Forsa zu 62 Prozent gegen die Lieferung schwerer Waffen. 77 Prozent sind der Meinung, dass der Westen Verhandlungen über eine Beendigung des Ukrainekrieges anstoßen sollte.

Für eine feministische Außenpolitik hat Abrüstung und Diplomatie eine zentrale Bedeutung. Feministische Außenpolitik steht im Gegensatz zu Militarismus und widersteht dem globalen Trend stetiger Aufrüstung.* Die Militarisierung unseres Staates führt zu einem Teufelskreis: Geld wird für Waffen statt für Menschen ausgegeben. Das fördert bei uns und global Ungleichheit und schürt Gewalt, Angst und Spaltung, was noch mehr Ressourcen für das Militär erforderlich erscheinen lässt, die zur Bekämpfung der Klimakatastrophe fehlen und sie gleichzeitig anfeuern.

Eine weitere Sorge unserer Ärzt*innenorganisation: Durch den Ukraine-Krieg hat sich das Risiko einer nuklearen Eskalation grundsätzlich erhöht. Sollte es zu einem Einsatz von Nuklearwaffen kommen, würde eine globale Katastrophe drohen. Selbst ein „begrenzter“ Atomkrieg könnte laut Klimawissenschaftler*innen der Rutgers-Universität das Klima massiv verändern und eine weltweite Hungersnot auslösen.**

Eine weitere atomare Gefahr geht von den Kämpfe rings um das Atomkraftwerk Saporischschja aus. Auch in der Nähe des Atomkraftwerks Südukraine ist nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj gestern eine russische Rakete eingeschlagen. Die IPPNW fordert wie auch der UNO-Generalsekretär Guterres und IAEO-Chef Rafael Grossi eine demilitarisierte Zone um das Atomkraftwerk Saporischschja.

Nukleare Katastrophen zu verhindern, sollte das erste Ziel einer feministischen Außenpolitik sein. Genderspezifische Forschungen an Atombombenüberlebenden haben ergeben, dass Mädchen und Frauen doppelt so häufig von den Folgen radioaktiver Strahlung betroffen sind, wie Mary Olson auf der Staatenkonferenz in Wien berichtete.

Es ist unstrittig, dass der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine völkerrechtswidrig ist. Gleichzeitig erfordert es gemeinsames Handeln, den Krieg zu beenden, Frieden zu schaffen, um den Weg für die sozial-ökologische Transformation zu ebnen.

Für Verhandlungen sind Vermittlung, ein günstiges Zeitfenster und eine perfekte Vorbereitung notwendig. Wann sich ein Zeitfenster öffnen wird, ist schwer vorherzusagen – es kann sich auch rasch wieder schließen. Ein international abgestimmtes Vorgehen muss daher schnell möglich sein, sobald ein günstiger Zeitpunkt eintritt. Diese Vermittlung von Verhandlungen mit vorzubereiten, nehmen Sie bitte als vordringlichste Aufgabe als Außenministerin an!

Über eine Antwort Ihrerseits würden wir uns sehr freuen. Mit freundlichen Grüßen Dr. med. Lars Pohlmeier (IPPNW-Vorsitzender) Dr. med. Angelika Claußen (IPPNW-Vorsitzende)

* https://www.wilpf.de/positionspapier-annaeherung-an-eine-feministische-aussenpolitik-deutschlands/ ** https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomwaffen/2022_Nukleare_Hungersnot_final_web.pdf

Quelle: https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Brief_Baerbockj_20_09_2022.pdf

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