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Weihnachten - eine Liebe im Hintergrund von Allem

Verantwortlicher Autor: Sergej Perelman Paderborn, 25.12.2021, 13:43 Uhr
Presse-Ressort von: Sergej Perelman Bericht 11715x gelesen
Maise auf verschneitem Zweig. Symbolbild für die Bedeutung von Weihnachten.
Maise auf verschneitem Zweig. Symbolbild für die Bedeutung von Weihnachten.  Bild: Erik Karits. https://pixabay.com.

Paderborn [ENA] In der Predigt zu Heiligabend am 24. Dez. 1991 in der St. Georgsgemeinde Paderborn betont der Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann ausgehend von Lukas 2, 1-14, dass die Bedeutung der Geburtsgeschichte Jesu darin liegt, dessen Wesen als Mensch, nicht die Biografie zum Ausdruck zu bringen.

Die Weihnachtsgeschichte soll nach Drewermann auf das Wesen der Person von Jesus von Nazareth, des wohl erstaunlichsten und rätselhaftesten Menschen, der in dieser Welt je gelebt habe, verweisen. Es gehe nicht um das Wunder der Geburt, sondern um das Wunder der Existenz Jesu. Zum Wunder wird sie, wenn seine Art zu denken und zu fühlen uns in unserem Dasein berühre und verwandle. Die Art und Weise, wie wir der Weihnachtsgeschichte lauschen sollten, um ihrem Geheimnis näher zu kommen, vergleicht Drewermann mit dem Hören einer Musik, die imstande ist, uns die Welt zu öffnen. (1)

An mehreren Stellen der Predigt veranschaulicht Drewermann jenes wunderbare Wesen des Mannes aus Nazareth. Dabei lässt er den Zuhörer sich vorstellen, er sei in irgendeiner Gasse in Nazareth oder Kapharnaum und begegnete Jesus und träte mit ihm in einen entscheidenden Dialog. Jeus würde - wortlos - ihn einladen, sich auszusprechen, seine Not, seine Verzweiflung. Bei der Aussprache spielt die Kindheit der betroffenen Person eine Vorrangrolle. Drewermann versetzt sich anschließend in die Person Jesu und redet an seiner statt. Hier folgen nun einige Auszüge.

"Du übernimmst dich! Das ist, was ich sehe. Du lastest auf deinen Schultern viel zu viel Verantwortung! Deine Haut wird grau dabei, deine Augen fahl, dein Gang müde, deine Stimme resigniert. Das ist kein Leben, was du führst. Immer noch glaubst du: Der ganze Rest der Welt sei mit dir irgendwie so verbunden, dass du ihn retten musst. Wofür, gibt es eigentlich Gott? Er möchte als erstes, dass du lebst. Wenn du damit nicht anfängst, - höre!: Du wirst keinem Menschen zum Leben helfen! Außer du lernst selbst ein Stück Freude und ein Stück Glück. Das darf es wirklich geben. Glaub mir das! Selbst für dein Leben darf es etwas geben wie freie Stunden, unzweckmäßiges Träumen, Offenheit ohne Zielvorgabe ..." (2)

"Umgehen miteinander in zärtlichem Austausch. Ich will dir etwas sagen. Du musst mal versuchen so zu leben, wie wenn es ein Morgen gar nicht gäbe! Jedenfalls so, wie wenn du das Morgen nicht planen und machen müsstest. Der Tag heute ist schwer genug, sag ich dir. Wenn du dich aber umschaust und siehst, wie alles an seiner Seite lebt. Wie die Vögel singen und ahnen nicht die Kälte des Winters, die sie bedroht. Wie die Bäume schlafen und sehnen sich langsam zum Aufblühen im reifenden Frühling. Wie die Tiere sich kauern in die Furchen und vollziehen sich selbst, ganz einfach wie sie müssen. Dann lerne zu leben ohne Krampf, ohne die ständige Anspannung des Jagens nach vorn. Sei einfach da." (3)

"Du kannst das nicht lernen, sagst du. Das ist ganz schwierig! Das glaub ich gern! Du gehst mit dir um wie ein fertiger Motor. All deine Ängste, deine Zwänge sind heute mechanisch. Ich schlag dir vor. Du schreibst heute, erwachsen geworden, einen neuen Wunschzettel. Du setzt dich hin am Abend und schaust einmal zu, an welchen Punkten im zurückliegenden Tag du gewagt hast, das zu sagen, was du wirklich fühltest; statt herumzulügen aus Nettigkeit, Verantwortung, Gefälligkeit. Du bist ein guter Kerl, aber wenn du die Wahrheit sagst, bist du noch viel besser. Probier's doch." (4)

"Schreib's dir auf, wo du abgewichen bist von deiner Wahrheit, die du fühltest, die du gesehen hast, die du wusstest und hast sie nicht genügend gesagt. Überleg, wie beim nächsten Mal in derselben Situation du dich deutlicher aussprichst. Dieselbe Situation wird morgen wieder sein. Sorg dich nicht ängstlich! Das ist, was ich dir sage. Egal mit wem du umgehst: ob mit deiner Frau, ob mit deinen Kindern, ob mit deinen Angestellten. Es ist immer dasselbe. Du musst das sagen und leben, was du bist. Alles wird ganz einfach und Gott wird dich segnen, denn er möchte, dass du bist." (5) Gegen Ende der Predigt wird Gott und die Botschaft Jesu gänzlich infrage gestellt, um zum Eigentlichen, was Glauben an Gott wirklich bedeuten kann, vorzudringen.

"Dann würde, wieder wortlos - vermutlich. Nur indem er uns selbst unsere Not und Verzweiflung aussagen ließe. Der Mann aus Nazareth uns allmählich führen an den Punkt, wo doch so etwas sich regt wie ein Wille zum Leben. Er würde uns das Gefühl nahe bringen, dass es irgendetwas geben muss, das uns trägt und dass es vollkommen anders ist als der gewohnte Alltag - im Grunde leben wir daraus! Nicht von der Gehaltszahlung, nicht von der Karriere, nicht von den Ängsten des einen Menschen vor dem anderen, nicht von all den Tricks, mit denen wir uns durchmogeln. Dass das nur Fassade ist, wissen wir genau!" (6)

"Aber irgendwo gibt es Momente wirklicher Liebe. Irgendwo öffnen wir uns einem Wort, das uns guttut. Irgendwo schauen wir einen Anderen an und er fängt an zu lachen. Es muntert ihn auf, was wir gesagt haben. Wir spüren, dass es uns guttut, dass wir sind und dem anderen begegnen. Und es tauscht sich aus wie über dem Abgrund. Aus diesem Geflecht von Hoffnung und Güte, aus der Bereitschaft zum Verstehen erwächst so etwas, was uns hinführt zu Gott. Vll. einzig ihm, dem Mann aus Nazareth, können wir IHN glauben. Eine Liebe sonst im Hintergrund von Allem. Nicht zufällig, sondern grundlegend und grundsätzlich. Wo sollten wir sie spüren?" (7)

"Aber wenn wir seinem Schweigen zuhören und wenn wir seinen Worten lauschen: Sucht doch zuerst dieses Unsichtbare! Das wir nennen das Reich Gottes. Und alles Andere klärt sich von alleine. Dann beginnt in unserem Herzen ein neuer Mensch Gestalt zu gewinnen. Dann werden wir etwas von dem Kind, das Jesus immer blieb und das zu sein, er uns einlud." (8) Zum Abschluss der Predigt zitiert der Theologe Drewermann einen Brief von R. M. Rilke. Im Jahr darauf wird ihm seine Predigterlaubnis entzogen.

(1) https://www.youtube.com/watch?v=gv2Df54u8lg. (2) 21:00. (3) wie (2). (4) 23:00. (5) wie (4). (6) 27:00. (7) 28:00. (8) 29:00.

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